Mittwoch, 9. März 2011

Alle Arten von Menschen




Ich habe es wieder getan. Ich habe mich wieder in die dunklen Griffe eines Call-Centers begeben. Aber diesmal nicht so richtig. Es war kein Center, sondern das Institut für Kommunikationswissenschaften, die Arbeitszeiten waren sehr studentenfreundlich und ich habe keine tollen Gewinnspiele verkauft, sondern tatsächlich eine sinnvolle Arbeit gemacht: Politikumfragen, speziell bezogen auf Dresdener Themen wie den 13. Februar und die Pläne für den Kulturpalast. Ein sehr spannender Fragebogen, hat richtig Spaß gemacht ihn erst zu analysieren und dann allen möglichen Leuten per Telefon vorzutragen. Bin gespannt auf die Ergebnisse, ich war bei einigen Sachen echt überrascht, wie da das Meinungsbild in der Bevölkerung so ist (und das niemand außer 2 Achtzigjährigen die Dresdner Bürgermeister kannte).

Was genau die Fragen waren, darf ich leider nicht sagen (vermute ich jedenfalls, aber ich will den Job gerne nochmal machen und will mich da nicht auf Glatteis begeben), aber ich kann sehr wohl die schönsten Momente aus 14 Stunden Umfragedienst zusammenfassen. (selbstverständlich sind alle Gespräche frei erfunden, nicht wahrheitsgetreu und absolut realitätsfern. Natürlich)

Los geht’s!


 -Tuuut-tuuuut-
Skye: „Ja, schönen guten Tag, mein Name ist Skye, und ich rufe sie von der TU Dresden an. Wir führen derzeit eine wissenschaftliche Befragung zu bestimmten Themen der Dresdner Kommunalpolitik durch.“
Dame1867: „ALLES Scheiße!“
Skye: „ Wie bitte?“
Dame1867: „Na die Politik ist alles scheiße! Die hören doch eh nicht auf das Volk! “
Skye: „Aber genau deswegen machen wir doch diese Umfrage!“
Dame1867: „Nö!“
-aufgelegt-
Skye: „Öhm, okay“ o.O

Das war tatsächlich das größte Problem: Niemand wollte mit mir reden. Entweder wurde gleich der Hörer aufgeknallt (was sich mit Headset besonders schön anhört), oder es wurde erstmal mit mir darüber diskutiert, dass ich und die Erfinder des Telefons allgemein doof seien und das doch eh alles nix bringt. Was etwas unklug ist, wenn man an einer Umfrage teilnehmen soll, die etwas bringen wird. Aber man kann ja niemandem zu seinem Glück zwingen.



Tuuut-Tuuut
Herr2783 (genuschelt): „Elektroservice Arschhausen!“
Skye: „Ja, schönen guten Tag, mein Name ist Skye, und ich rufe sie von der TU Dresden an. Ich habe das grade richtig verstanden, ich bin gar nicht bei einem Privathaushalt gelandet?“
Herr2783: „Nein, Elektroservice Arschhausen.“
Skye: „Gut, dann hat sich das erledigt, wir suchen für unsere Befragung nur Privathaushalte“
Herr2783: „ Ich habe aber auch eine Meinung.“
Skye: „ Tut mir Leid, aber das Zufallsprinzip verbietet mir das.“
Herr2783: „Wir können uns ja mal privat treffen und ich schieb dir meine Meinung ganz tief unten rein.“
Skye: „O.O“

Die meisten Herren waren aber sehr freundlich zu mir (außer einem, den ich grade beim Nachrichten schauen gestört habe), trotzdem habe ich meine Interviews zu 75% mit Frauen geführt. Am Ende gaben die dann meist an, dass sie Mitleid mit mir hatten und deswegen mitgemacht haben. Die Männer mochten wenigstens meine Stimme!



-Gespräch mit mittelprächtig motivierter Dame376-

-Gepolter im Hintergrund-
Dame376: „Oh Gott, TAMARA!“
Skye: „?“
Dame376: „Könnten sie bitte mal mal kurz mit meinem Sohn reden und den beschäftigen? Mein anderes Kind läuft grade zum Balkon!“
-Krachen-
Kind01, etwa 6 Jahre: „Hallo!“
Skye: „Ähm, Hallo?“
Kind01: „Mutti regt sich immer auf, wenn ich Tamara haue“
Skye: „mmmhmmmh....?“ (Hiiilfeeeee)

Besondere Ereignisse gab es erstaunlich wenige, das hängt aber vermutlich damit zusammen, dass unsere Nummern komplett zufallsgeneriert waren und damit ca. 80% zu nicht existenten Anschlüssen führten. Also saß ich 80% der Zeit da und habe einem Medley der schönsten Tut-Klingel- und Hupgeräusche gelauscht. Modems und Faxe (ja, die gibt’s noch!) klingen auch ganz entzückend, vor allem, wenn man vorher mit einer älteren Person gesprochen hat und die Lautstärke noch oben ist.

Achja, und wer hätte gedacht, dass es tatsächlich noch Leute gibt, die ihre normalen Telefon-Hup-Töne mit „lustigen“ Freizeichenliedern ersetzen. Die gabs doch früher mal bei Jamba, oder?




-Nach einem erstaunlich reibungslos verlaufenen Interview mit einer erstaunlich motivierten Dame4598-
Skye: „Ja, darf ich sie noch fragen, WARUM sie an dieser Befragung teilgenommen haben?“
Dame4598: „Ich arbeite selber in der Marktforschung und war begeistert, dass jemand mal einen Fragebogen nicht nur doof vorliest, sondern Motivation hat und fröhlich ist. Ich hasse doofe Call-Center-Mietzen. Kann ich irgendwie an die Ergebnisse kommen?“
Skye: „Öhm, ich gebe ihnen mal die Nummer von dem leitenden Professor, der weiß da sicher besser Bescheid als ich.“
-Nach Ansagen von Namen und Nummer-
Dame4598: „Ja, den kenne ich von früher, ich hab bei ihm gearbeitet, ich werde ihn morgen gleich mal anrufen und sagen, er soll sie fest am Institut anstellen. Sie haben Talent. Tschüss!“
-aufgelegt-
Skye: „Yeah.“ 

Das waren die erfreulichen Momente. Oder als ich einer knapp 75Jährigen sagen konnte, ich hätte sie für nicht älter als 30 gehalten. Oder der herrlich fröhliche Nazi-Opa, dem ich seine doofe Meinung irgendwie nicht übel nehmen konnte (würde auch keinen Sinn machen...) - aber es gab auch einen Moment, der mich wirklich mitgenommen hat:
Ich habe eine alte Dame angerufen, die in einer halben Stunde ins Krankenhaus fährt und gerade das letzte Mal in ihrer Wohnung war. Sie meinte, nächste Woche wäre sie wohl schon tot. Danach konnte ich für eine halbe Stunde nichts anderes machen als dasitzen und starren.




Trotzdem waren die Tage eine tolle Erfahrung und es hat viel Spaß gemacht, mal etwas sinnvolles mit meinem entzückenden Stimmchen zu tun.und zu erleben, wie die Theorie dann umgesetzt wird.

Und ich habe meine Meinung über das Volk ein bisschen revidieren können: Viele sind informiert, interessiert und nicht dumm.

Aber sehr viele auch nicht.

Haben wir wieder was gelernt:
  • IMMER ans Fenster setzen! Sonst droht tödliche Langeweile und Hassfantasien auf blaue Trennwände.
  • Die Leute bei der KfW sind so DERMAßEN unfähig...Ich war heute beim Bankgespräch kompetenter als mein Bankberater. Ich hab schon gute Gründe, diesen gottverdammten Studienkredit zu kündigen. MACHT NIE EINEN KREDIT BEI DER KFW. NIE!
  • Ich habe mir in einem spontanen Akt des Wahnsinns zum ersten Mal in meinem Leben die Haare selber geschnitten. Und ich sehe damit besser aus, als in 50% der Fälle nach einem Friseurbesuch. Ich sollte nur versuchen, die Kantigkeit etwas zu reduzieren. Der Herr Freund meint, das gibt mir etwas „rebellisches“.
  • Man beachte den neuen, epischen Blogroll ---> 
  • Und um auch hier noch etwas Gutes zu tun, verpasse ich euch jetzt euren Ohrwurm für die nächsten Tage. Bitteschön:



Yeah, xx



3 Kommentare:

  1. Klingt gut der Job, ist der auch was für nicht-Studenten?

    Ich schneid mir auch die Haare selber, weil jedesmal wenn ich beim Friseur war ich aussah wie ne Prollpüppi mit bunten Haaren. Schrecklich :D

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  2. Scheint echt interessant zu sein. Die nette Dame, die dir dsas Kompliment gemacht hat, scheint sympathisch zu sein.

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  3. Soweit ich weiß ist der Job extra für Studenten, der wurde jedenfalls nur in einer Vorlesung mal erwähnt - ich glaube kaum, dass die jemanden von außerhalb anstellen, wenn die auch billig arbeitende Studenten haben.

    Aber ja, war echt interessant ^^

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